Warum

... tut man sich das an und kauft ein 39 Jahre altes Hanomag-Mercedes Wohnmobil mit 60 PS und 290000 km ohne Innenausbau?

Keine Ahnung!

Midlife Crisis, Leben im Umbruch, Flucht aus dem Alltag, Erfüllung eines uralten Traums, unbefriedigte Bastelleidenschaft, zuviel Janis Joplin "Mercedes Benz" gehört, Zeit für was Unvernünftiges, "wann wenn nicht jetzt"?

Irgendwie wohl von Allem etwas.

Historischer Exkurs:
Vor vielen Jahren nach der Schule, als mein geliebtes erstes Auto (Renault 12 TS Break, fies gelb, Baujahr 75, 10 Jahre in Familienbesitz) unter tragischen Umständen den Weg zum ewigen Schrottplatz antreten mußte, war das nächste Traumauto ein Hanomag F2x / Mercedes L 20x Transporter. Ein Bekannter hatte einen und den fand ich klasse. Mächtig Platz und Kultfaktor hoch 10. Wäre auch ein ideales Auto für den geplanten Frankreich Camping-Urlaub.
Im Kleinanzeigen-Markt war nicht viel zu finden. Die überlebenden Biester waren damals auch schon 13 bis 20 Jahre alt. Über eine Freundin habe ich aber einen Kontakt zu einem Schrauber bekommen, der die Gefährte gekauft, hergerichtet und wieder verkauft hat. Irgendwo in der mittelfränkischen Pampa am Rand des Steigerwalds in einer Land-WG oder doch eher Kommune?
Nach ein paar Telefonaten war klar ich muss da hin. Er hat was da und bekommt demnächst noch einen rein.
Ein erster Versuch im Winter mit Mutters Auto endete schon nach wenigen Kilometern beim Versuch im zunehmenden Schneetreiben einen Freund ab zu holen, der mitkommen wollte. Erst mal verschoben, irgendwann dann doch geklappt und keine Ahnung mehr wo angekommen. Alt-Hippie Romantik pur ;-). In der Scheune ne Werkstatt und ein langer Hanomag stand auch zum Verkauf. Die geforderten 3000 Mark waren auch angesichts des Zustands mehr als ich mir leisten konnte. Also Traum wieder abgeschminkt.
Das nächste Auto wurde dann ein zweisitziger Renault R4 F6 Kastenwagen mit dem ich auch viel erlebt habe und viel, teils unfreiwillige, Gelegenheit zum Schrauben hatte.
Angesichts der Historie meiner in der Folge gefahrenen (Schrott-) Autos hätte ich vielleicht doch alles dran setzen sollen den Hanomag irgendwie zu erwerben, who knows ...

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Wieder zurück in der nicht allzu fernen Vergangenheit mit sicherem Job, geregeltem Einkommen und Leben und mitten in einer Psychohorrorbeziehungskrise ...
Nach ein paar Camping-Kletter-Urlauben und Festivals (Herzberg!) habe ich inspiriert durch die vielen dort zu sehenden interessanten Wohn-Gefährte im Internet gestöbert und bin auch über ein paar Anzeigen mit Hanocedes Bussen gestolpert. Das Angebot war teils sehr fragwürdig, viel Rost, umfangreiche Schweissarbeiten nötig, jahrelang abgemeldet und rumgegammelt. Eine Anzeige war allerdings viel versprechend, wenn auch mit stolzem Preis:

Mercedes-Benz MB 206 D, TÜV neu, H-Zulassung, Karosse gut

Schnuckeliger kleiner Diesel-Bus sucht neuen Wirkungskreis.
Hallo Oldiefans,
Für mein Alter bin ich echt fit, springe immer gut an und fahre auch locker an den Lastwagen auf der
Autobahn vorbei. Mit meiner H-Zulassung darf ich auch in die Innenstädte, die Kfz-Steuer liegt bei
191€/Jahr, Oldtimer-Versicherung bei 150€. Meine Außenhaut wurde überholt, die Schweißstellen können
z.T. von innen besichtigt werden. Ich müsste nur nochmal von innen konserviert werden, damit der
Zustand erhalten bleibt. Bei meinem Ausbau kann man sich richtig nach Wunsch austoben und alles so
herrichten, wie es gefällt. Wer nicht schweißen kann, aber gut mit Holz arbeitet, ist bei mir an der
richtigen Adresse und wird auch die nächsten Jahre Freude an mir haben. Natürlich erwarte ich von
meinem neuen Besitzer, dass auch weiterhin alle Wartungsarbeiten regelmäßig ausgeführt werden, eine
Dame wie ich hat da schließlich ihre Ansprüche... Und so hübsch wie ein VW-Bus bin ich auch. Eure Goldie
Besichtigung in Frankfurt/Main. Probefahrt auf Gelände möglich, sonst müssen 5-Tage-Kennzeichen
mitgebracht werden
MB 206 DG KB, So-Kfz Wohnmobil, H-Zulassung vorhanden, fahrbereit
TÜV: bis 5/2015, EZ: 9/1974, km: 290699 (echter Stand, da Kilometerzähler 5stellig!),
Maße: L4,5m, B1,82m, H2,37, Innenhöhe ca. 160cm.
4 eingetragene Sitzplätze, Ausstellfenster hinten, Dachfenster, Hecktür, Seitentür, Fahrer- und
Beifahrertür, ohne Ausbau (mit Provisorium).
Motor läuft gut, springt gut an, Bremsen: 4 Radbremszylinder neu
guter Karossiezustand, kein Blätterteig, Schweißarbeiten erledigt, außen neu lackiert

Die Bilder sahen auch sehr verlockend aus:

Goldie1Goldie2Goldie3Goldie4Goldie5

Also hin und her überlegt. Will ich mir das wirklich antun? Will ich wirklich soviel Geld ausgeben? Hab ich die Zeit und das Können die alte Dame zu pflegen (ein Oldtimer ist ja auch eine Verpflichtung und sollte nicht einfach so vergammeln) und einen Ausbau zu erstellen?

Nach ein paar Tagen grübeln war klar: "Wann wenn nicht jetzt?!" (Orange) und "Get it while you can" (Janis Joplin). Kontakt auf genommen und einen Termin für eine Besichtigung aus gemacht.
Der Bus stand in Frankfurt im Wagenpark Riederwald. Auf dem Weg habe ich noch einen Freund als Verstärkung aufgegabelt, mit dem ich mich eh noch Treffen wollte.
Nach einer Ehrenrunde auf der Borsig-Allee habe ich tatsächlich den etwas versteckten Zufahrtsweg gefunden und und plötzlich mitten in der Großstadt wild wuchernde Natur, teils sehr historische Wohngefährte aller Größen ... und Goldie.
Von den beiden Vorbesitzern habe ich diverse Infos über die Geschichte des Busses, Reparaturen, Eigenheiten und Mängel bekommen.
Drum rum gehüpft, drunter gekrochen, Motor inspiziert und innen alles in Augenschein genommen.
Kurze Probefahrt auf dem Gelände, man muss die Kupplung kommen lassen und beherzt Gas geben damit man überhaupt vom Fleck kommt ;-). Servolenkung ist auch nur ein Traum für die bussige Zukunft.
Bilanz: Außen hui, innen pfui. Zwei Deckensegmente hatten noch die originale Verkleidung, allerdings mit Restlöchern einer ehemaligen Lampe, das Segment mit der Dachlucke und die Seitenwände waren nacktes Blech (OK, man konnte tatsächlich einige Schweißstellen begutachten) mit Kleberresten einer alten Isolierung. Das Provisorium bestand aus zwei Trennwänden auf Höhe des Endes der Seitentür mit Schaumgummi-Prallschutz undefinierbarer Art, zwei Multiplex-Brettern seitlich längs und einem Rollrost zwichen den Brettern. Wirklich viel Gelegenheit sich mit Holz im Innenraum auszutoben.
Zugegebene Mängel: "Der Bus hat die Elektrowürmer" (treibt da etwa ein Elektrolurch sein Unwesen? ;-)), sprich, wenn man einen Verbraucher (Licht, Scheibenwischer, Gebläse, Blinker ...) einschaltet, geht die Temperaturanzeige auf Vollausschlag (was mich noch intensiv beschäftigen sollte ...), der Tacho zählt nur noch die Kilometer, zeigt aber die Geschwindigkeit nicht mehr an, die Tankanzeige ist ohne Funktion und die Dieselpumpe ist leicht undicht (bisher nicht wirklich festgestellt (ein paar Jahre später allerdings doch)).
Preislich ließe sich noch was machen, allerdings gibt es diverse Ersatzteile nur dazu wenn ein zufriedenstellender Verkaufspreis erreicht wird.
Wahrscheinlich war ich da schon verloren, ich habe Interesse bekundet, aber Bedenkzeit ausgebeten und wir sind von dannen gezogen um den Abend bei gutem Essen, Rotwein und Musik bei meinem Freund ordentlich ausklingen zu lassen.

Also wieder hin und her überlegen ...
Ein paar Tage später war klar, ich will ne Probefahrt machen und tendiere deutlich zum Kauf.

Also Termin ausgemacht, Kurzzeitkennzeichen besorgt, hin gefahren und los ging's. Ein Stück durch Frankfurt, auf die Autobahn, ein paar Abfahrten später wieder zurück. Fährt sich etwas schwerfällig und ist sicher kein Geschwindigkeitsmonster, Lenken und Bremsen erfordert Kraft, der Motor ist innen ganz schön laut zu hören, aber alles in allem doch ein guter Eindruck.
Nachdem wir unsere gegenseitigen Schmerzgrenzen ausgelotet hatten, haben wir uns auf einen Kaufpreis und die mitgelieferten Ersatzteile geeinigt und einen Termin ein paar Tage später, noch in der Gültigkeit der Kurzzeitkennzeichen, zum Kauf gemacht.
Ein Freund hat mich dankenswerterweise hin gefahren, der Vertrag wurde unterschrieben, ein paar Kiloeuro haben den Besitzer gewechselt, ein paar letzte Tipps und ich durfte als frisch gebackener Besitzer im Dunkeln erst mal zur nächsten Tankstelle fahren und dann das Traumgefährt 70 km nach Hause überführen.
Am nächsten Tag ging es dann gleich zur Zulassungsstelle. Ein Hoch auf die Online-Termin-Vereinbarung! Am Freitag Mittag ist es wirklich angenehm wenn man nach 5 Minuten Wartezeit aufgerufen wird, während ca. 50 Leute, die wohl schon länger diverse Stühle und Stehplätze bevölkerten, säuerlich gucken.
Etwas Stress gab es noch, da der Versicherer wohl nicht richtig zu gehört hatte und mir telefonisch eine Nummer für einen Wohnwagen durch gegeben hatte. Nach 3 Telefonaten und Anläufen wegen erneuter Fehlübermittlung der sehr geduldigen Zulassungsstellendame und einem Computerabsturz war dieses Problem dann auch behoben. Witzig war dann noch die Frage der Dame "soll ich mal schauen ob das Auto eine Umweltplakette bekommt? Vielleicht eine rote?". Ganz sicher nicht ;-). War dann auch so, aber mit dem H-Kennzeichen ist das auch erst mal egal. Zitat des DEKRA-Prüfers beim HU-Termin zwei Jahre später: "Ah, mit dem Teil können Sie ja auch nach Frankfurt an den Römer fahren und kräftig Gas geben!". Stimmt, ist aber nicht das was ich mit dem Hano bevorzugt machen möchte. Auf einspurigen Land- und Bundesstraßen der Schlange hinter mir mit 80 - 85 km/h Entschleunigung beibringen macht mehr Spaß ;-þ.

Nach einem abschliessenden Besuch bei der Versicherung bin ich noch am selbem Tag ganz mutig mit dem Bus zur ersten größeren Tour in meine 200 km entfernte Heimatstadt aufgebrochen um meiner etwas verdutzt schauenden Mutter übers Wochenende beim Umzug zu helfen. Geht durchaus einiges an Möbeln rein ...